Mr. Brain

Mr. Brain – oder

Wir denken zu viel – und fühlen zu wenig…

Es gibt so ein schönes Gedicht dazu.

Ja, wie ist es eigentlich um unser Mitgefühl, unserer Empathie bestellt?

Wann – wann haben wir uns das letzte Mal wirklich mit den Erlebnissen unseres Gegenübers, unseres Gesprächspartners beschäftigt?

Wir fragen doch andauernd:

Wie geht es Dir?

Wie geht´s?

Alles gut?

Und hören wir der Antwort dann wirklich zu?

Und wenn wir uns austauschen – können wir wirklich nach-empfinden, wie es einer Mutter geht, die ihren Sohn schon seit Jahren nicht mehr getroffen hat?

Weil es ein Mißverständnis gab, weil irgend jemand etwas erzählt hat?

Können wir uns wirklich vorstellen, wie es ist, den Enkel noch kein einziges Mal gesehen zu haben?

Oder wie es ist Missbrauch erfahren zu haben, keine Kinder gebären zu können? 

Single zu sein? Oder Witwer?

Können wir uns vorstellen einen leeren Kühlschrank zu haben und erst die Mitte des Monats?

Können wir “nach” – empfinden wie es ist – aktuell einen Menschen verloren zu haben, oder wie es ist eine todbringende Diagnose zu erhalten?

Jeder Mensch, der uns begegnet, der genau das hat, oder eben nicht hat, löst in dem Betroffenen Gefühle aus…

Diejenige, die schwanger werden möchte sieht überall “Bäuche”. Wenn ich abnehmen mag, sehe ich schlanke Menschen, wenn ich alleine bin, sehe ich überall Paare, die glücklich sind.

Doch wie empfinden wir, wenn uns jemand sein Herz ausschüttet?

oder ehrlich antwortet, auf die Frage: Wie geht es Dir?

In den meisten Fällen sind es für uns nur Worte, nicht wahr?

Oder wir sagen uns:

Gut, daß es mir nicht so geht!

Armer Tropf…

Wie oft hörten wir schon zu, ohne zu – zuhören…

Wie oft hörten wir schon zu, um parallel an das nächste Käsebrötchen beim Bäcker zu denken…

Wie oft hörten wir schon zu, ohne daß wir es uns vorstellen konnten, wie es wohl ist, in genau dieser Position zu sein…

Wie oft?

Oft sind wir erst berührt, wenn wir dieses Gefühl kennen.

Oft sind wir erst berührt, wenn es näherkommt.

Oft sind wir erst berührt, wenn es uns betrifft.

In den letzten Wochen konnten wir über viele Dinge nachdenken, in den letzten Wochen waren auch wir wieder von Tagen betroffen, die nicht einfach waren.

Ein geliebter Mensch ist verstorben – ein geliebter Mensch, den wir eine ganze Woche am Sterbebett begleitet haben, den wir letztendlich auch begleitet haben, als dieser den letzten Atemzug seines Lebens tat.

Wißt ihr – lange hatte ich nicht mehr so gefühlt.

Lange nicht mehr…

Als mein Papa vor 14 Jahren starb – empfand ich zum ersten Mal diesen richtig tiefen Schmerz.

Und erst nach dieser Erfahrung – erst nachdem ich meinen Papa gehenlassen mußte – konnte ich die Trauernden verstehen.

Wirklich verstehen.

Mit einem Mal war es anders:

Ich sah die Todesanzeigen in der Zeitung mit anderen Augen…

Ich verstand, was es hieß – ich werde heute meine Mutter pflegen, sie verabschiedet sich…

Ich wußte, was es hieß, einen kranken Menschen auf dem letzten Weg zu begleiten.

Ja – nun wußte ich, wie sich Trauer anfühlt…

Und der Tod ist nur ein Beispiel.

Wie viele Dinge verstehen wir „noch“ nicht…

Viele wunderbare Karten haben wir erhalten…

Manche waren kurz, manche voller lieber Worte…

Wir haben Augen gesehen, die verstanden, wir haben Umarmungen erlebt, die trösteten…

Und wir haben Menschen getroffen, die genau das mitempfanden.

Eine liebe Teilnehmerin vom Massage-Wochenende sagte noch diesen wertvollen Satz – immer wenn ich vom Tod eines Menschen erfahre, bin ich wieder mittendrin – ich weiß noch genau, wie es sich anfühlte.

Und genau das meine ich.

Wann können wir uns wirklich in einen Menschen hineinversetzen?

Wann sind wir fähig zu empfinden?

Entweder sind wir von Natur aus empathisch – oder haben es erlebt.

Wenn es uns nicht gut geht, sind wir dankbar Menschen zu treffen, die uns sehen.

Wenn es uns nicht gut geht, sind wir dankbar Menschen zu treffen, die uns trösten.

Wenn es uns nicht gut geht, sind wir verletzlich – sind wir dünnhäutig, sind wir verletzbar.

Wenn es uns nicht gut geht, funktionieren wir nicht so wie sonst…

So –

erinnere Dich daran, wenn Du jemanden triffst, der eine schwere Phase durchlebt, erinnere Dich daran, bevor Du jemanden heruntermachst, erinnere Dich daran – wie Du Dich fühltest…

Erinnere Dich daran, ob es gerade dann für Oberflächlichkeiten Zeit geben sollte, erinnere Dich daran, ob ich Neid, Ego oder den eigenen Mangel hervorheben sollte.

Erinnere Dich daran – ob ich jemanden schlecht machen sollte – weil ich vielleicht gerade nicht gesehen werde. Weil ich mich, warum auch immer, klein fühle.

Erinnere Dich – und auch wenn Du es nicht fühlen kannst – denke mal nach, wie würde es mir in dieser Situation gehen?

Was wäre dann richtig?

Wenn Du magst dann nimm Dir für die nächsten ein,- zwei Tage mal vor

die Menschen, die Du triffst – ein Stück weit – intensiver wahr – zu nehmen.

Nicht in der Oberflächlichkeit des Augenblicks – sondern schau wirklich hin, fühl mal hin…

Und wenn Du fragst, wie geht es Dir?

– dann höre zu – höre wirklich zu…

In diesem Sinne Euch allen eine herzliche Woche voller Empathie

Eure Bettina