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Man sieht nur mit dem Herzen gut

Man sieht nur mit dem Herzen gut. Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.
– Antoine de Saint-Exupéry

Gestern Abend sah ich mir einen Bericht mit Ilka Bessin an.
Ilka, eher bekannt als Ulknudel Cindy Marzahn – die sie seit einiger Zeit nicht mehr verkörpert.
Aus gutem Grund.
Ilka Bessin war selbst jahrelang arbeitslos und bezog Hartz IV – nicht weil sie zu faul, zu ungebildet, zu schlecht war, sondern weil die Situationen schlecht zusammenspielten, die Jobangebote nicht zu Ihrer Ausbildung passten und sie sich letztendlich durch ihr mangelndes Selbstbewusstsein zurückzog.
Ein Kreislauf, der schneller da war, als sie jemals gedacht hätte…
Wir kannten sie bisher nur als erfolgreiche Comedyfrau.
Doch diese Rolle mochte sie nicht mehr belegen, weil es einfach ganz viel mit ihrem vorherigen Weg zu tun hatte. Sie wollte keine Witze mehr reißen, die ihr damaliges Leben beschrieben.
Hättet Ihr es gewusst?

Frau Bessin machte sich in dem Bericht auf die Suche nach Obdachlosen in Berlin, sie wollte mehr erfahren über die Schicksale hinter den Menschen, die sich nachts mit Pappkartons zudecken und zwischen Drogendealern und Polizeistreifen schlafen, die sie immer wieder auffordern, den Schlafplatz zu räumen.

Welche Menschen stecken hinter diesen „Schnorrern“, wie wir sie gerne bezeichnen?
Was ist passiert, dass es so weit kommen musste?
Und warum greifen dort nicht so viele Hilfen, wie sie eigentlich benötigt werden?

Mich hat dieser Bericht berührt und gezeigt, dass durch mangelndes Hinsehen, durch mangelnde Empathie Schicksale in tiefe Täler geschubst werden können.
Wenn es soweit ist, erhält ein Mensch sofort den Stempel des Taugenichts, des Stadtstreichers, des Nichtsnutzes…
Nicht mal einen Blick schenken wir diesen Menschen auf der Straße, geschweige denn ein Lächeln – und ich darf sagen – damit hat sie Recht.

Mir geht es oft genauso…
Und wir leben schon in einer Kleinstadtidylle und haben „sichtbar“ wenige Fälle.
Wie die reellen Zahlen aussehen kann ich nicht beurteilen – doch es gibt sicherlich Dunkelziffern.

Doch auch ich senke den Blick und möchte so schnell wie möglich an einem Bettelnden vorbei, oder?
Irgendwie beschämt es uns, nicht wahr?
Manchmal gebe ich mir einen Ruck und schmeiße etwas in den Topf oder kaufe ein Brötchen um zu gewährleisten, dass derjenige sich keinen Alkohol dafür kauft…meine Gedanken sind oftmals „Schubladenhaft“…

Warum fällt es uns so schwer?
Warum sortieren wir Menschen direkt ein?
gut – schlecht – reich – arm – erfolgreich – gebildet – abgehoben – Nörgler – Besserwisser – Kontrolleure – Weicheier-

Selbst im Arbeitsbereich sortieren wir fleißig weiter.
Wir haben ein Bild, wir haben unseren Auftrag, unser Ziel und dann gehen wir voran…

Manchmal sind wir vor lauter Schubladen so blind, dass wir Menschen überhaupt nicht wahrnehmen, nicht wirklich sehen – und selbst wenn wir ein Gespräch führen, was im Grunde Lösungen bringen darf – haben wir oftmals Schwierigkeiten Neues und neue Sichtweisen zuzulassen.
Weil WIR uns ein Bild gemacht haben…

Ja, wir sind uns oft so sicher Menschen zu kennen, Menschen und Dinge zu bewerten, dass wir den innersten Kern nicht mehr wahrnehmen.
Wir lassen uns von Titeln, Ausbildungen, Vereinen und Bereichen lenken, wir betrachten die Kleidung, die Frisur, die Hautfarbe, sexuelle Gesinnung und die Herkunft.

Für weitere – tiefere -Blicke fehlt uns die Muße…

Und im Grunde, im Grunde möchten wir doch auch als den Menschen angesehen werden, der wir sind, nicht wahr?
Wir möchten akzeptiert werden, mit allen Bereichen, mit allen Dingen, die uns wichtig sind und am Herzen liegen.
Jeder hat seine eigene Geschichte, seine eigene Prägung und es gibt immer eine Geschichte hinter dem Bild.

Vielleicht magst Du in den kommenden Tagen mit mir eine Übung machen?
Nimm Dir, ganz bewusst in den nächsten Tagen die Zeit – und schau Dir die Menschen, die Dir begegnen genau an.

Nimm den ersten Impuls und schau mal in welche Schublade Du diesen Menschen stecken würdest…

Und dann – nimm Dir ein zwei Gedankengänge Zeit und vielleicht auch die Zeit, um ein kurzes Gespräch zu führen, nimm Dir Zeit einen anderen Blickwinkel zu verschaffen – ohne Wertung –

Und dann – achte darauf, was passiert…

…man sieht nur mit dem Herzen gut…